Drei Jahre und 3,5 Billionen Dollar nach der Krise zweifelt die „kommunistische“ chinesische Führung an der Allmacht des Staates.
Der ultraliberale amerikanische Ökonom Murray Rothbard sagte einmal: „Es gibt eine gute Sache an Marx: Er war kein Keynesianer.“ Das war in den 1980er-Jahren, als Karl Marx noch als Posterboy des langsam zerfallenden Kommunismus im Sowjet-Stil herhalten musste. Rund 30 Jahre später will man auch in der letzten Bastion des „Kommunismus“ nichts mehr wissen von Karl Marx und seinen wirren ökonomischen Theorien. In China, wo längst Kapitalismus mit „kommunistischem“ Überbau praktiziert wird, griff man in der Krise wie auch überall sonst zu den Theorien von John Maynard Keynes. Man druckte Geld, schnürte Konjunkturpakete und versuchte, dem Abschwung entgegenzusteuern.
Es hat nur nicht funktioniert. Heute stehen China und die Welt vor denselben Problemen wie damals. Schlimmer noch, die Probleme sind gewachsen. Das Ergebnis: Selbst im „kommunistischen“ China regt sich jetzt Interesse an den Gegenspielern von Keynes und Marx. An der „Österreichischen Schule“ – an den „Austrians“ wie Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises, dessen Schüler Rothbard war. Am Montag widmete das „Wall Street Journal“ dem chinesischen Ökonomen Zhang Weiying eine ganze Seite. Zhang unterrichtet mitten in China die liberale Sicht der „Austrian School“ – als Professor an der Universität von Peking.
2008 wurde er vom chinesischen Establishment noch wie ein Aussätziger behandelt, als er sich erlaubte, die Politik der Regierung zu kritisieren. Die schüttete damals in einer geradezu obszönen Auslegung des keynesianischen Interventionismus die Kleinigkeit von 3,5 Billionen Dollar in die Wirtschaft, um diese zu „stimulieren“. Mit wenig Erfolg: „Die Wirtschaft ist heute wie ein Drogensüchtiger. Und der Doktor verschreibt immer mehr Morphin“, sagte Zhang dem „WSJ“.
Den „Austrians“ zufolge sollte der Staat sich raushalten, wenn die Rezession droht, da diese eben nur die Bereinigung vorangegangener Fehlinvestitionen (des Staates) darstellt. Mit „billigem Geld“ entgegenzusteuern ist aus der Sicht der „Austrians“ der größte Fehler, den eine Regierung machen kann. Ein Fehler, den seit 2008 fast alle Regierungen weltweit gemacht haben.
„Die keynesianische Politik hat nicht gebracht, was versprochen wurde. Immer mehr Menschen verstehen, dass unsinnige Investitionen des Staates zu einer Rezession führen“, so Zhang. Heute wird er nicht mehr ausgegrenzt, sondern von Politikern und Ministerien zu Vorträgen eingeladen.
Der Chef der Kommunistischen Partei in Shanghai ließ ihn letztens wissen, dass er eine Lobpreisung Zhangs für Rothbard mit Genuss gelesen hätte. Murray Rothbard hätte das als Triumph des Marktes über die Bürokratie interpretiert. Zhang sieht es ähnlich: „Wir Menschen streben nach Glück. Du kannst glücklich werden, indem du andere unglücklich machst. Das ist die Logik des Diebstahls. Oder du wirst glücklich, indem du andere glücklich machst. Das ist die Logik des Marktes. Welchen Weg bevorzugen Sie?“
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(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 16.10.2012)